Am Sonntag, dem 3. November 2013 haben wir Berliner wieder einmal die Gelegenheit per Volksentscheid die Politik in unserer Stadt aktiv mitzugestalten. Im folgenden Artikel versuche ich mal zu erklären worum es geht und warum ich mit Nein stimmen werde.
Die ca. 2,49 Millionen Wahlberechtigten dürfen über einen Gesetzentwurf abstimmen, der sich mit der zukünftigen Energieversorgung des Landes Berlin beschäftigt. Der Gesetzentwurf gilt als angenommen, wenn die Mehrheit der Wählenden die Wahlfrage mit Ja beantwortet und gleichzeitig mindestens 25% der Wahlberechtigten zustimmen, also 620.939 oder mehr Ja-Stimmen abgegeben werden.
Was passiert wenn ...
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... die Mehrheit dagegen stimmt?
Es wird gemäß des Beschlusses des Abgeordnetenhauses vom 24.10.2013 ein Stadtwerk unter dem Dach der Berliner Wasserbetriebe gegründet.
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... die Mehrheit dafür stimmt?
Der Gesetzentwurf wird sofort und unverändert zum geltenden Gesetz. Es wird ein Stadtwerk und eine Netzgesellschaft nach den Regeln des Gesetzentwurfs gegründet. Korrekturen müssen per Gesetzesänderung erfolgen.
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... die Mehrheit dafür stimmt, aber weniger als 25% der Wahlberechtigten zugestimmt haben?
Das Gleiche als wenn die Mehrheit dagegen gestimmt hätte.
Warum werde ich mit Nein stimmen?
- weil die Übernahme des Stromnetzes nichts mit der Gründung eines Stadtwerkes zu tun hat
- weil die Regeln (das Land haftet, hat aber keine Kontrolle) nach denen die beiden Anstalten gegründet werden sollen, aus meiner Sicht die falschen sind
- weil es mit Berlin Energie bereits eine dem Wirtschaftssenator Müller unterstellte Netzgesellschaft gibt
- weil der Netzbetreiber durch ein Vergabeverfahren bestimmt wird, an dem die neu zu gründene Netzgesellschaft nicht mehr beteiligen kann
- weil alleine die Kunden bestimmen wie grün der durchs Netz geleitete Strom ist, die Netzgesellschaft muss per Gesetz alles durchleiten, auch Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken
- weil der Strom dadurch nicht günstiger wird
- die versprochenen Gewinne erst etwa 2040 zu erwarten sind (vorher sind Tilgung und Zinsen für aufzunehmende Kredite zurückzuzahlen)
- weil von dem was die Antragsteller vorgeben zu wollen, fast nichts im Gesetzesentwurf drin steht
Worum geht es konktet?
Dieses Mal geht es um den Antrag des Berliner Energietisches, ein neues Gesetz mit dem Namen "Gesetz für die demokratische, ökologische und soziale Energieversorgung in Berlin" (EnergieVG) zu verabschieden. Den genauen Wortlaut des Gesetzesentwurfs kann man in der Amtlichen Information nachlesen, der auch jeder Abstimmungsbenachrichtigung in gedruckter Form beiliegt.
Im Wesentlichen geht es in diesem Gesetzentwurf darum, zwei neue rechtsfähige Anstalten öffentlichen Rechts (ein Stadtwerk und eine Netzgesellschaft) in Berlin zu gründen, die zukünftig für die Energieversorgung zuständig sein sollen. Das Wort rechtsfähig ist besonders markiert, weil man Anstalten öffentlichen Rechts danach unterscheidet, ob sie (voll) rechtsfähig, teilrechtsfähig oder auch nicht rechtsfähig sind.
Alle drei Formen verfügen über eigene Rechte und Pflichten, der Unterschied ist aber, wer diese wahrnimmt. Kritisch wird es immer dann, wenn Einer die Rechte (und eigentlich auch die dazugehörigen Pflichten) hat und ein Anderer aber dafür die (finanzielle) Verantwortung übernehmen muss. Im konkreten Fall könnten die neuen Anstalten zwar weitestgehend selbstständig Verluste und Schulden machen, dafür gerade stehen müsste aber als Eigentümer das Land Berlin und somit die Berliner mit ihren Steuern.
§ 7 Finanzen und Wirtschaftsführung
(3) Für Verbindlichkeiten der Anstalten haftet das Land Berlin als Gewährträger unbeschränkt.
Aber es sollen doch Anstalten öffentlichen Rechts werden, da hat doch dann auch das Parlament die Kontrolle, oder? Ja eben nicht, denn für die beiden zu gründenden Anstalten soll jeweils ein Verwaltungsrat gewählt werden.
§ 4 Verwaltungsrat
(1) Dem Verwaltungsrat der jeweiligen Anstalt gehören an:
- die für Wirtschaft und Umwelt zuständigen Mitglieder des Senates, die sich vertreten lassen können,
- sechs direkt gewählte Vertreter oder Vertreterinnen der Energieverbraucherinnen und Energieverbraucher sowie
- sieben Vertreter oder Vertreterinnen der Beschäftigten der Anstalt, davon mindestens drei Männer und mindestens drei Frauen.
Die Kontrolle haben also zwei Senatoren (aktuell der Senator für Stadtentwicklung und Umwelt Michael Müller (SPD) sowie die Senatorin für Wirtschaft, Technologie und Forschung Cornelia Yzer (CDU)), sechs Kundenvertreter (die nicht selbst Kunden sein müssen) und sieben Arbeitnehmer. Des weiteren hätten die Geschäftsführung, ein Mitglied des Personalrates, die Ombudsperson und die Frauenvertreterin Antrags- und Rederecht im Verwaltungsrat (siehe § 7 (4)). Der Gesetzentwurf geht also von der Existenz eines Personalrats und einer zwingend weiblichen Frauenvertreterin aus.
§ 4 Verwaltungsrat
(7) Der Verwaltungsrat berät und kontrolliert die Geschäftsführung. Er hat insbesondere folgende Aufgaben:
- Erlass und Änderung der Satzung,
- Bestellung und Widerruf der Bestellung sowie Abschluss, Änderung und Beendigung der Dienstverträge der Geschäftsführung,
- Erlass und Änderung der Geschäftsordnung des Verwaltungsrats,
- Feststellung des Wirtschaftsplans (§ 106 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit § 110 der Landeshaushaltsordnung),
- Entlastung der Geschäftsführung (§ 109 Absatz 3 Satz 2 der Landeshaushaltsordnung), Entgegennahme und Erörterung des Jahresabschlusses, des dazugehörigen Prüfungsberichts sowie des Geschäftsberichts und des Evaluationsberichtes der Geschäftsführung,
- Bestimmung des Wirtschaftsprüfers oder der Wirtschaftsprüferin für die Prüfung des Jahresabschlusses im Einvernehmen mit dem Rechnungshof von Berlin,
- Beschluss über Beginn und Ende der Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden,
- Erlass und Änderung von Richtlinien für die Geschäftsführung der Anstalt und die Überwachung ihrer Einhaltung,
- Entscheidung über alle sonstigen Angelegenheiten der Anstalt, soweit es sich nicht um die Leitung und Geschäftsführung der Anstalt handelt.
Wie kommt es zu einem Volksentscheid?
Der Weg zum Volksentscheid ist in Berlin dreistufig und soll sicherstellen, dass nur Themen zur Abstimmung kommen, für die sich eine relevante Masse von Berliner interessiert.
Die erste Stufe ist das Zulassungsverfahren. Der Antragsteller hat sechs Monate Zeit um sich von 20.000 Unterstützern (ein knappes Prozent aller Wahlberechtigten) per Unterschrift bestätigen zu lassen, dass sie im Falle eines Volksentscheides für seinen Antrag stimmen würden. Diese Unterschrift ist nur eine Interessenbekundung, bei der tatsächlichen Wahl kann man sich auch anders entscheiden. Kommen die nötigen Stimmen zusammen, so kann anschließend ein Volksbegehren ("Wir das Volk haben da mal einen Wunsch") beantragt werden.
Ein beantragtes Volksbegehren verpflichtet das Abgeordnetenhaus von Berlin, sich mit dem Antrag zu beschäftigen und dem Antragsteller innerhalb von vier Monaten eine Entscheidung mitzuteilen. Fällt die Entscheidung gegen den Antrag aus, so kann als Nächstes ein Volksentscheid, also die Abstimmung durch die Bürger beantragt werden. Damit es dazu kommt, benötigt man aber sieben Prozent der Wahlberechtigten als Unterstützer. Aktuell sind das etwa 173.000 Stimmen und man hat nur vier Monate Zeit, diese einzusammeln. Man muss also jeden Tag mindestens 2.800 Leute finden, die die Idee unterstützen.